

Franz Jonas im Gespräch mit einigen Funktionären
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Uns bekannte Namen seien als Beispiel der jüngsten und gegenwärtigen Geschichte angeführt: Franz Jonas, Wiener Bürgermeister und dann Bundespräsident; Anton Proksch, Sozialminister; der schon erwähnte Oskar Helmer, Innenminister; Dr. Josef Staribacher, Handelsminister, Rudolf Edlinger, Finanzminister, die Zeit ihres Lebens unserer Gewerkschaft die Treue gehalten haben, bis zu den heutigen Funktionären, wie Franz Bittner, Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse; Herbert Bruna, ehem. Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse; Franz Murmann, Funktionär in der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter sowie Karl Schwarz und Helmuth Lawitz, die gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen als unser Vertreter in den Arbeiterkammern fungier(t)en.
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1914
1914 war es klar: Diese Hoffnungen konnten nicht erfüllt werden. Mit der Mobilisierung wurden 1200 Kollegen spontan aus graphischen Betrieben gerissen, und doch mussten im September 1914 bereits 1100 Arbeitslose gezählt werden. Schon zuvor, im August, musste die Organisation die Kranken- und Arbeitslosenunterstützung einstellen. Ende 1915 registriert der niederösterreichische Verein (Ende August 1914: 6750 Mitglieder) 3415 Eingerückte (2503 Setzer, 762 Drucker, 150 Schriftgießer). 184 Kollegen blieben auf den Schlachtfeldern. Von den Senefeldern (Ende Juni 1914: 2570 Mitglieder) waren Ende März 1916 - 1155 Kollegen ins Feld gezogen, 119 mussten dort ihr Leben lassen. Die Beschäftigungslage war also trist, besserte sich in der Folgezeit zwar, aber die allgemeinen Lebensbedingungen wurden immer schlechter. Einzelpersonen und ganze Belegschaften wurden zur Kriegsdienstleistung herangezogen - Beschäftigungen, die weit außerhalb jedes gewerkschaftlichen Einflusses standen. Über Forderungen eines 1916 von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und den Freien Gewerkschaften einberufenen Arbeitertages wurden Beschwerdekommissionen zur Regelung von Lohn- und Arbeitsverhältnissen der Kriegsdienstleistenden installiert. Unter anderem wurde bestimmt, dass sich der Beschwerdeführer auch durch Berufsgenossen oder Berufsvereinigungen vertreten lassen könne. Das kommt einer ersten gesetzlichen Anerkennung der Gewerkschaften als Rechtsvertreter ihrer Mitgliedern gleich. In Wechselwirkung zu den verheerenden Begleitumständen und Folgen des Ersten Weltkrieges betrachtet, fällt es allerdings schwer, sich über diesen Erfolg zu freuen. Aber neben der bedauernswerten Tatsache, dass die internationalen Verbindungen der Arbeiterparteien und Gewerkschaftsverbände den Kriegsausbruch nicht verhindern konnten, müssen wir noch eine Lehre aus dem tragischen Geschehen stellen: Problemanhäufungen oder Notstand dürften die Sinne der Mitglieder für Schuldzuweisungen trüben. So konnten in einer Zeit der Hochkonjunktur der Rüstungsindustrie für die Beschäftigten gewisse Lohnzuwächse erzielt werden, während für die im darniederliegenden Druckereigewerbe arbeitenden Kollegen nur einige meist unzureichende Teuerungszulagen realisiert werden konnten. So wurde in Fehleinschätzung der Sachlage die Organisationsleitung dafür verantwortlich gemacht. Bis in die Gegenwart erleben nun unsere Funktionäre und Sekretäre bei allen möglichen Anlässen ähnliches. Da werden etwa Betriebe von Besitzern und ihnen bestellten Geschäftsleitungen an den Rand des und leider häufig auch in den Abgrund geführt. Seitens unserer Gewerkschaft wird dann sofort versucht, die bestehenden Rechte der Mitglieder zu wahren. Kommt es dann aber aus irgendwelchen Gründen zu Verzögerungen der Auszahlung von zuerkannten Lohn-/Gehaltsanteilen, dann machen die betroffenen Kollegen für die Misere nicht den Eigentümer oder deren Geschäftsführung als Urheber der Betriebs- und Arbeitsplatzgefährdung verantwortlich, sondern ihre Gewerkschaft. Welche Fehleinschätzung. Vielleicht ändern die nächsten 150 Jahre unserer Geschichte dies in der Weise, dass der Blick unserer Mitglieder, die in beruflich schwierige Situationen geraten, klarer bleibt. Dabei kann man natürlich die Missgunst unserer Kollegen ihrer Gewerkschaft gegenüber noch mit einem gewissen Maß an Verständnis begegnen, soweit man dies mit Hunger, Not und Angst erklären kann. Immerhin waren bis 1918 die Höchstpreise für die Grundnahrungsmittel - die überdies nicht in ausreichender Menge zur Verfügung standen - um das Drei- bis Zehnfache (300 bis 1000 Prozent) angestiegen, während die Löhne der nicht in der Kriegsindustrie Beschäftigten nicht einmal verdoppelt wurden (60 bis 80 Prozent). Am 3. November 1918 wurde der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und der Entente unterzeichnet. Die unter Dr. Karl Renner als erstem Kanzler gebildete Exekutive rief am 12. November 1918 die Republik aus, und im Februar 1919 fanden die ersten Nationalratswahlen statt. Der Vielvölkerstaat des Kaiserreiches war zerfallen. Kein Zweifel besteht wohl, dass der Weltkrieg die tragischste Problemlösung war, weil er - wie wir heute wissen - die Probleme nur zum Teil löste, zum Teil aber neue schuf. Die direkten Auswirkungen waren jedenfalls katastrophal, die wirtschaftliche Situation in dem neuentstandenen kleinen Staatsgebilde Österreich ist kaum beschreibbar. In dem allgemeinen, von Not gekennzeichneten Chaos war es den graphischen Betrieben nicht möglich, ihren Aufträgen - soweit es solche überhaupt gab - nachzukommen. Es mangelte an Papier und Arbeitsstoffen, der inländischen Papierindustrie fehlten vor allem auch die Produktionsmittel. Sorgenvolle Zeiten waren auch für unsere Gewerkschaft gekommen. An erster Stelle stand da das rapide Ansteigen der Arbeitslosen. So waren in der ersten Woche 1918 - 139 Kollegen zur Vermittlung vorgemerkt. In der zweiten Woche 421, die auf 760 anstiegen und zum Jahresende 1918 knapp die Zahl 1400 erreicht hatten.
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4. November 1918
Als Instrument gegen die Arbeitslosigkeit wurde mit 4. November 1918 vom Staatsamt für soziale Fürsorge die Installation einer effektiven Arbeitsvermittlung bestimmt. Arbeiter und Angestellte der Kriegsindustrie sowie heimkehrende Soldaten sollten umgehend an zeitgemäße Arbeitsplätze gebracht werden.
- Mit 6. November 1918 wurde zum ersten Mal eine Arbeitslosenunterstützung zur Milderung der ärgsten Not eingeführt.
- Mit 26. April 1919 wurde vorgesehen, dass Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten zwangsweise einen Arbeiter aufzunehmen hatten.
- Ab Ende Mai 1919 zahlte jedes Mitglied unserer Gewerkschaft 5 Kronen für an Arbeitslose zu zahlende Unterstützungen.
Die schon in den früheren Kollektivverträgen der Buchdrucker anerkannten Vertrauensmänner erhielten durch das Betriebsratsgesetz vom 15. Mai 1919 eine gesetzliche Basis und Beschäftigtenschutz.
Auf freier Vereinbarung beruhend und an lange Dienstzeiten im Betrieb gebunden gab es für Beschäftigte in unseren Berufen häufig schon bescheidene, urlaubsähnliche Freizeitgewährungen. 1920 klang die Ära Ferdinand Hanusch aus. In der kurzen Zeitspanne von knapp zwei Jahren haben die Sozialdemokraten die Grundlage zum heutigen Sozialstaat Österreich geschaffen. Eine Leistung, die uns Heutigen noch Achtung abringen kann und uns eigentlich veranlassen sollte, mit eiserner Konsequenz hinter den heutigen Gesetzen, wie beispielsweise Arbeitsverfassungs- oder Arbeitszeitgesetz, zu stehen.
Nun aber war der Regierungskahn wieder ins alte Fahrwasser gelangt. "Die Christlichsozialen und Deutschnationalen fühlten sich mit fortschreitender Stabilisierung der Republik stark genug, den sozialdemokratischen Koalitionspartner aus der Regierung zu drängen. Durch ihren massiven Widerstand gegen die Vorschläge der Sozialisten zur Sanierung der Wirtschaft war die Wahrung der Interessen der Arbeiterschaft in einer gemeinsamen Regierung mit den Bürgerlichen nicht mehr möglich. Auch ein Weiterführen der Reformen war nicht mehr zu realisieren. Da von der Parteibasis her Widerstand gegen diese Koalition bestand, war es dann die logische Folge, dass die Sozialdemokraten im Herbst 1920 aus der Regierung ausschieden." Als ganz wichtiges Resultat einer gewandelten Sozialszene in Österreich war noch ein Alters- und Invaliditätsversicherungsgesetz erwartet worden. Aber das Unternehmertum war nun wieder erstarkt und ließ jede Bereitschaft zur Entrichtung einschlägiger Abgaben missen. Zwar wurde am 1. April 1927 ein Gesetz zur Durchführung der Altersfürsorge angenommen, jedoch in einer Fassung, die es praktisch undurchführbar machte, weil es an einen sogenannten Wohlstandsindex (Weniger als 100.000 Arbeitslose im Jahr) gebunden war. Was blieb, war eine Fürsorgeunterstützung für schon mehr als Bedürftige im Maße eines kläglichen Almosens. Es wäre schön und für die im konservativen Lager geistig Beheimateten angenehm, könnte man es bei diesen Feststellungen belassen. Aber das geht nicht, auch nicht bei einer noch so kurzen Skizzierung der Geschichte einer österreichischen Gewerkschaft, die sich als Teil der österreichischen Arbeiterschaft versteht. Der erzielte soziale Fortschritt hatte in den Feinden der Arbeiterklasse Hass entfacht, der sich gegen Sozialdemokratie und Gewerkschaft richtete. Und wie sich zeigen sollte, ging das bis zur Selbstvernichtung. So wurden in den Jahren nach dem Weltkrieg von den Christlichsozialen des Auslandes und der inländischen Industrie die Heimwehren organisiert. Anfänglich gegen Angriffe der Nachbarstaaten und gegen die Gefahren des Bolschewismus gegründet, wurden die Heimwehren immer mehr Instrument zur gewaltsamen Unterdrückung der Arbeiterschaft und Sozialdemokratie.
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März 1921
Was auf dem Weg der Wahlen nicht gelang, sollte durch brutalen Terror erreicht werden: Eroberung der Macht im Staat und Abschaffung des Parlamentarismus. Der Wirtschaft passte das ins Konzept. "Im März 1921 wurde in einer Sitzung des Hauptverbandes der Industriellen der Steiermark beschlossen, dass die Großbanken, die Industriellen und die Großgrundbesitzer jährlich fünf Millionen Kronen aufbringen werden, um die Heimwehr in der Steiermark schlagkräftig zu machen. So hatte zum Beispiel der Industriellenverband seine Mitglieder verpflichtet, ein Prozent der gesamten Lohnsumme an die Heimwehren abzuführen." Der Konzern der Leykam-Josefsthal AG stellte im Herbst 1922 allein den Betrag von 22 Millionen Kronen zur Verfügung. Etwa zu dieser Zeit deklariert sich die Heimwehr in einem Schreiben an die Mitglieder des Verbandes der Papier- und Zellulose-Industriellen: "Zu ihrer Orientierung teilen wir Ihnen ganz vertraulich mit, dass die eingehenden Beträge der gesamten Industrie Österreichs dazu verwendet werden, um die Heimwehr zu organisieren, damit im Falle einer Katastrophe unsere Werke geschützt werden." Das braucht man wohl nicht zu kommentieren. Aber auch die Anhänger des Legitimitätsprinzips (gesammelt in der "Ostara") sowie die Nationalsozialisten ("Deutsche Wehr") riefen antiparlamentarische Organisationen ins Leben, und als "Sammelbecken für alle Kreise, die sich die Pflege konservativer Ideale zum Ziel setzten, diente die "Frontkämpfervereinigung", die alle Schattierungen vom "Monarchisten bis zum Nationalsozialisten" umfaßte. Die Frontkämpfervereinigung trat als Saalschutz bei Aufmärschen in Erscheinung. Dieser Entwicklung begegneten die Sozialdemokraten mit der Bildung der Arbeiterwehr, ab Mai 1924 "Republikanischer Schutzbund". Als Ordnerorganisation und zur Verteidigung der Republik gedacht (militärische Leitung: General Dr. Theodor Körner), skizziert ihr Obmann, Dr. Julius Deutsch, das Ziel: "Die Arbeiterbewegung will den Weg zum Sozialismus friedlich zurücklegen. Die Ordnerorganisation soll dazu beitragen, dass dieser Weg von den faschistischen Wegelagerern freigehalten wird." Die "christlichsozialen" und konservativen Kampfgruppierungen radikalisierten die Szene aber zusehends und verhielten sich, als hätten sie einen staatlichen Freibrief für Terror und Mord. In einigen Mordfällen an Schutzbündlern gab es Freisprüche beziehungsweise geradezu lächerliche Strafen. So entwickelte sich in den zwanziger Jahren eine Bürgerkriegsstimmung progressiver Intensität, in der die Wut der Arbeiterschaft immer mehr an- und die Erträglichkeitsgrenzen der Sozialdemokratie überstieg. Von diesen Begleitumständen geprägt kam das Jahr 1927 nicht nur zu dem schon angeführten, wie zum Hohn und Spott der Betroffenen abgefassten Gesetz zur Durchführung der Altersfürsorge, sondern auch zu dem alle Gerechtigkeit spottenden Fehlurteil im Falle der Schattendorfer Morde. Der Hergang ist bekannt. Am 30. Jänner 1927 wurden bei einer sozialdemokratischen Kundgebung in Schattendorf (Burgenland) ein Kriegsinvalide und ein achtjähriger Bub von Angehörigen der Frontkämpfervereinigung erschossen. Diese leugneten das erst gar nicht lange: In den Abendstunden des 14. Juli 1927 erfolgte ihr Freispruch durch ein Wiener Geschworenengericht. Am Morgen des 15. Juli kam es dann zu Kurzstreiks der Elektrizitätsarbeiter und Straßenbahner. Die zornerfüllte Arbeiterschaft zog zum Ring, vor das Rathaus und Parlament, um gegen den Freispruch der Mörder zu demonstrieren. Im spontanen Auftreten der wütenden Menge kam es zum Zusammenstoß mit der berittenen Polizei, die sich vor der Übermacht in den Justizpalast zurückzog, wohin ihnen aber Demonstranten folgen konnten. "Aktenbündel wurden auf die Straße geworfen, brennende Papierbündel zurückgeschleudert, in kurzer Zeit stand der Justizpalast in Flammen. Erst mit Hilfe der inzwischen eingetroffenen Schutzbundabteilungen gelang es der Feuerwehr nach mehrmaligen Versuchen, zum Justizpalast vorzudringen." Die Bevölkerung war in hohem Maße aufgebracht. Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel lehnte eine politische Lösung zur Beruhigung der Situation (Koalitionsregierung über Vorschlag der Sozialdemokraten) strikte ab und ordnete an, Polizeipräsident Dr. Johannes Schober müsse die Unruhen mit allen Mitteln niederschlagen. 600 bewaffnete Polizisten töten so in einer etwa dreistündigen Schießerei 86 Menschen, unter ihnen auch Kinder, verwundeten an die 1000 Personen, auch vier Polizisten kostete das Gemetzel das Leben.
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1934
Die von Industrie, Banken und dem Ausland weiter tatkräftig unterstützten, auch von Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel geförderten Heimwehren wurden in der Folgezeit immer dreister in ihrem faschistischen Verhalten: Der Austrofaschismus zum Sturz der Demokratie 1934 in Österreich hatte seinen Anfang genommen. Auf dem Weg dorthin waren freie Gewerkschaften natürlich ein großes Hindernis. Also musste gegen sie und ihr Wirken etwas unternommen werden. Die Unternehmer und Großindustriellen versuchten, ihre Widersacher durch Bildung der sogenannten "gelben Gewerkschaften" zu spalten. Auch die Gründung der "Unabhängigen Gewerkschaften" (Mai 1928) unter der Ägide der grundsätzlich militant gegen die Sozialdemokraten und freien Gewerkschaften vorgehenden Heimwehren muss hier angeführt werden. Mit dem Antiterrorgesetz vom April 1930 schufen sich die heranwachsenden Diktatoren eine weitere Handhabe zum Niederschlagen der freien Gewerkschaften. Die Abwehr von Gegnern der Arbeiterbewegung galt als Terror, die Verhinderung von Gesetzesverletzungen oder die Verhinderung von Verschlechterungen sozialer Errungenschaften wurden als schwere Gesetzesübertretungen gewertet und unter Strafe gestellt. Weiters untersagte dieses durch und durch reaktionäre Gesetz das Inkasso von Gewerkschafts- oder Parteibeiträgen, diese konnten überdies für die Dauer von drei Jahren zurückgefordert werden. Die Werbung von Mitgliedern wurde als Terror ausgelegt. Wer ein Nichtmitglied darauf aufmerksam machte, dass es eigentlich unmoralisch sei, wenn er die gewerkschaftlichen Errungenschaften für sich nutzte, machte sich der vom Gesetz her verbotenen Einschüchterung schuldig, und die freiwillige Arbeitsannahme - also der Streikbruch - durfte nicht eingeschränkt werden. Zuwiderhandlungen wurden strikte bestraft. Dieses Gesetz richtete sich mit ganzer Kraft gegen die Arbeitnehmerschaft. Es wurde in keinem Fall gegen die den wahren Terror ausübenden Unternehmer angewendet. Wirtschaftskrise - Bekämpfung durch Zerschlagen der Arbeiterrechte? Rund 200.000 eine Unterstützung beziehende Arbeitslose und an die 40.000, die keinerlei Zuwendung erhielten, mussten Anfang 1926 gezählt werden. Im Jahre 1933 waren es 557.000, und der Anteil der Ausgesteuerten wurde immer größer. Unternehmer und Industrie versuchten mit allen Mitteln, ihren Besitzstand zu sichern. Dazu schien ihnen die Zerschlagung der Arbeiterrechte gerade recht zu sein. Der klassische kapitalistische Weg wurde eingeschlagen: Kündigungen, Kürzung der Löhne, Kurzarbeit, überhaupt Zerschlagen des schnell gewachsenen sozialen Fortschritts und als Voraussetzung dafür Niederwerfen und Auflösen der Sozialdemokraten und freien Gewerkschaften. Nachdem die Konservativen die hierfür notwendige Machtposition - wie schon angeführt wurde - auf dem Wege legaler Wahlen nicht erreicht werden konnte, mussten Not und Gewalt her.
Eine Zwischenbilanz
Bei dem Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg handelte es sich um eine Zeitspanne, in der in einer verhältnismäßig kurzen Phase gewaltige Fortschritte für die österreichische Arbeiterschaft erreicht werden konnten. Es war aber auch eine Zeit, in der eine unvorstellbare Inflation zu bewältigen und eine vernichtende Wirtschaftskrise zu verzeichnen war, die ein Ende der ansteigenden Not und des zunehmenden Elends nicht erkennen ließ. In diese Periode fiel aber auch der Beginn zur Sammlung der gewerkschaftlichen Kräfte unserer Kollegen, und zwar durch Vereinigung des Gehilfen- und Gewerkschaftsausschusses zu einer Personalunion. Taktische Fragen und die neue Organisationsform wurden festgelegt. Das Graphische Kartell fand Verwirklichung, ein wenig später der Reichsverein. Alle Arbeiter in den Betrieben sollten in einer Organisation zusammengefasst werden. "Daher sollten Gehilfen und Hilfsarbeiter, männliche und weibliche, einen gemeinsamen Weg gehen. Und der Zentralisationsgedanke kam zur Geltung, der eine einheitliche Führung in der Zentrale vorsah, der auch das Entscheidungsrecht in tariflichen und organisatorischen Fragen zuerkannt werden sollte." Mit dem Zerfall der Donaumonarchie ist natürlich auch die Größe unserer Gewerkschaft geschrumpft. 1914: 1500 Betriebe mit rund 15.000 Gehilfen; 1919: 550 Betriebe mit rund 8.000 Gehilfen. Aber das betraf eben nur die zahlenmäßige Größe, aber nicht die Kraft.
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1920
Mit 8179 aktiven und 285 invaliden Mitgliedern konnte 1920 eine Organisationsdichte von 98 Prozent im neuen Österreich festgestellt werden. Obgleich unsere Gewerkschaft auch heute noch mit ihrer Organisationsstärke an der Spitze der ÖGB-Verbände steht: 98 Prozent Organisationsdichte insgesamt wäre eine ganz schöne Vorgabe für eine Mitgliederwerbeaktion (der übrigens heute kein Antiterrorgesetz entgegenwirkt). Neben der Bedeutung, die Gewerkschaft durch ihre Mitgliedschaft stärken zu müssen, erkannten die Kollegen damals aber auch, was schon erwähnt wurde, aber immer wieder betont sei, dass es zur Gestaltung eines sozialen wirtschaftlichen und politischen Umfeldes auch einer starken politischen Beteiligung bedarf. Es war ihnen klar, dass die Gewerkschaftsaufgaben nicht an eine politische Partei zu delegieren sind, genauso wie es nicht möglich gewesen wäre, die 1919 und 1920 erzielten Fortschritte in der Sozialgesetzgebung über die Gewerkschaft allein zu realisieren. Die Kollegenschaft unterstützte daher die Sozialdemokratische Partei mit ganzen Kräften als die politische Partei, die ihre Interessen vertrat. So mancher unserer Dienstnehmer könnte heute ruhig vom Baume dieser Erkenntnis ein wenig naschen. Der Untergang wird von den Arbeitergegnern angesteuert. Bundespräsident Dr. Seipel war am 3. April 1929 zurückgetreten. Ihm folgte bis September desselben Jahres der Industrielle E. Streeruwitz. Nach ihm wurde der vormalige Polizeipräsident Dr. Johannes Schober zum Bundeskanzler ernannt. Er entsprach aber dem Machtstreben der Heimwehren auch nicht und wurde im September 1930 abgesetzt. Die Neuwahlen 1930 - erstmals kandidierten österreichweit auch Nationalsozialisten - fielen trotz starkem Druck auf die Sozialdemokraten nicht zur Zufriedenheit der Heimwehren aus. So wurde von diesen am 13. September 1931 ein Versuch gestartet, die Staatsgewalt an sich zu reißen. Die Aktion ging von der Steiermark und von Oberösterreich aus, schlug aber nach Auseinandersetzungen mit Schutzbündlern sowie nach dem Eingreifen von Militär und Polizei fehl. Der Drahtzieher, Heimwehrführer Walter Pfriemer, und die Putschisten wurden in einer Verhandlung im Dezember 1931 - wie konnte es anders sein - freigesprochen. Im April 1932 können die bisher unbedeutenden, organisatorisch der deutschen Parteileitung unterstehenden Nationalsozialisten bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen Siege verzeichnen. Im folgenden Mai übernimmt Dr. Engelbert Dollfuß die Regierungsbildung. Jetzt kam die autoritäre Staatsführung voll zur Geltung. Es ist nicht Sinn dieser Schrift, die weitere Entwicklung des Austrofaschismus zu analysieren. Sein Ursprung musste aber, wenn auch auf wenige Seiten komprimiert, aufgezeigt werden. Denn nur in einem solchen Klima konnte es zum 12. Februar 1934 kommen.
Die Organisationen der Arbeiterschaft, die politische Partei, die Gewerkschaften und die Kulturorganisationen wurden zerschlagen, der Widerstand der proletarischen Kämpfer im Blut erstickt. Was mühsam in jahrzehntelanger Arbeit unter unsäglichen Opfern durch den Idealismus einer denkenden Gemeinschaft aufgebaut worden war, wurde zerstört. Die brutale Gewalt hatte Oberhand gewonnen. Maschinengewehre und Kanonen hatten den traurigen Weg geebnet für eine rücksichtslose Diktatur. Auch in unserer Gewerkschaft wurde an diesem Tag in der Kanzlei die Anwesenden - darunter der Obmann und sein Stellvertreter - verhaftet, die Türen abgesperrt und versiegelt. Die Verbindung der Betriebsräte untereinander war abgerissen. Einige von ihnen folgten dem Beispiel der Arbeiter der Elektrizitätswerke, die ja nach dem Angriff der Söldnerhorden mit der Stromabschaltung folgen sollte, und streikten. Diese Betriebsräte wurden sofort hinter Schloss und Riegel gesetzt. Die Personale waren eingeschüchtert und verwiesen auf die unveränderte Situation in Betrieben anderer Berufe. Und die Arbeitslosen? Sie wurden vom Arbeitsamt in die stillgelegten Betriebe geschickt und - gingen. Der Chronist unterstreicht, dass aber keinesfalls Gesetze oder der Tarif verletzt worden wären. Aber die schwere Krise hatte den Widerstand, den Mut zur Abschüttlung ihres traurigen Daseins gebrochen. Es war also doch eine Situation entstanden, die solidarische Opfer ad absurdum führte. So war es besser, die gewachsenen Gemeinschaften zu erhalten und die früheren Dienstnehmer in die Unternehmungen zu bringen.
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21. Februar 1934
"So fielen Bastionen, in jahrzehntelangem Kampf und mit schweren Opfern an Gut und Freiheit aufgebaut." Als einer der ersten Maßnahmen nach den Februarkämpfen wurden die freien Gewerkschaften aufgelöst, ihre Funktionäre, aber auch Betriebsräte und Funktionäre der Selbstverwaltungseinrichtungen (Sozialversicherung) verfolgt. Alle freigewerkschaftlichen oder sozialdemokratischen Betriebsräte verloren ihr Mandat durch Regierungsanordnung, (21. Februar 1934). Im März installierte die Regierung die "Einheitsgewerkschaft", um "im Geiste des Christentums, der sozialen Gerechtigkeit und Liebe zum Vaterland", so hieß es, "den Arbeitern und Angestellten eine wirksame Interessenvertretung zu sichern und ihre Eingliederung in den berufsständischen Aufbau der Gesellschaft vorzubereiten". Der Zulauf zu den Christlichsozialen blieb freilich aus, und das Gewerkschaftsleben war zwischenzeitlich wie gestorben. Für die Organisation der Buchdrucker, Buchbinder und Senefelder wurde behördlicherseits ein Regierungskommissär eingesetzt, dann kam es zur Freigabe der zunächst konfiszierten Kassenbestände aller Verbände. Ab 4. März 1934 konnten wieder die Unterstützungszahlungen geleistet werden. In Anbetracht der vielen Hunderten von Fürsorgebedürftigen halfen Funktionäre unserer aufgelösten Organisation dabei mit, im vollen Wissen, dass dies in der Kollegenschaft auch Kritik auslösen würde. Etwa zur gleichen Zeit im März/April 1934 entstanden Gewerkschaften in der Illegalität. Die Sozialdemokraten ("Siebenerkomitee") und Kommunisten ("Wiederaufbaukommission") bildeten gemeinsam den illegalen "Bund der Freien Gewerkschaften". Dieser errichtete in Brünn eine internationale Verbindungsstelle, wo auch Konferenzen abgehalten wurden. Am 25. Juli 1934 erlag der Festiger des Austrofaschismus, Dr. Engelbert Dollfuß, bei einem an und für sich fehlgeschlagenen Putschversuch der Nationalsozialisten einem Mordanschlag. Dr. Kurt Schuschnigg trat Dr. Dollfuß´ Nachfolge an. Trotz ihrer Illegalität traten die "Freien Gewerkschaften" gelegentlich in Erscheinung. Wohl zuletzt am 7. März 1938 mit einer Versammlung im Floridsdorfer Arbeiterheim.
Unter Beiseiteschieben allen Gewesenen versuchten sie, Dr. Kurt Schuschnigg zur Errichtung einer österreichischen Front gegen den Nationalsozialismus Hitlers zu bewegen. Der Bundeskanzler zögerte aber, zögerte zu lange. Eine Woche darauf, zu Vernunft gekommen, war es zu spät. Wenn bereits festgestellt wurde, dass es nur in diesem schon von gegen die Arbeiterschaft gerichteten Terror und Gewalt geprägten Klima zu den Ereignissen von 1934 kommen konnte, so muss man unterstreichen, dass erst die folgende Politik der Machtzuteilung an gruppenegoistische, gesellschaftspolitisch kurzsichtige und wirtschaftspolitisch unfähige Kreise sowie die Eingliederung der neuen "christlichsozialen" Gewerkschaften in diesen Machtkreis die Struktur Österreichs dermaßen spaltete, dass ein Jahr 1938 in der erlebten Form erst zustande kommen konnte. Jetzt möge aber keiner mit der Weisheit kommen, daß viele Sozialisten ohnedies den Anschluss an Deutschland wollten. Das Deutschland Hitlers 1938 hatte schon längst nichts mehr mit dem Deutschland gemein, in das Dr. Karl Renner Deutsch-Österreich 1918 führen wollte, was ja nach dem Versailler Vertrag (Art. 80) nicht ermöglicht worden war. Und bewusste Irreführung ist es, der Okkupation Gutes anzudichten, etwa was die Vermittlung von Arbeitslosen oder überhaupt die Beseitigung der Arbeitslosigkeit betrifft. Die überwiegende Mehrheit der Zwangsvermittlungen endete in oft menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen. Mit der ohne militärischen Widerstand, aber immerhin gewaltsam erfolgten Besetzung Österreichs nahm das auf sieben Jahre komprimierte "tausendjährige" Großdeutsche Reich seinen Anfang: Es währte eben nur sieben Jahre und hinterließ ein Erbe, als hätte es tatsächlich tausend Jahre drauflos wüten können. Mit der Besetzung Österreichs fielen die letzten von den hierorts herrschenden Diktatoren im Taschenbuchformat verbliebenen Freiheiten. Das, was sich Gewerkschaften nannte, der christliche Gewerkschaftsbund mit seinem ständischen Aufbau, wurde aufgelöst, und die DAF (Deutsche Arbeiterfront) täuschte gewerkschaftliches Tun erst gar nicht vor. Unser Gewerkschaftshaus, seit 1927 im Besitz des Reichsverbandes stehend und 1934 von der Regierungsgewerkschaft belegt, wurde nun von der DAF besetzt.
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1939
Diese verlegte die Geschäfte dann an ihren Sitz in der Theobaldgasse und verkaufte das Haus Ecke Seidengasse/Zieglergasse. Über Löhne und Arbeitsverhältnisse befand ein "Reichstreuhänder der Arbeit", der auch sonst für alle Fragen des wirtschaftlichen Lebens zuständig war. Wirksam war damals das Gesetz "Ordnung der nationalen Arbeit". Es dominierte auf dem Gesetzessektor, österreichische einschlägige Gesetze und Kollektivverträge verloren ihre Gültigkeit, die diesbezüglichen deutschen Normierungen brachten nur Verschlechterungen. "Der Kampfgeist der graphischen Arbeiter erlahmte auch in dieser Zeit nicht. Sie wehrten sich gegen unwürdige Zustände, gegen die Unterdrückung, gegen Zwang, gegen die Unfreiheit." Lang ist die Liste unserer Mitglieder, die dem Nazitum zum Opfer fielen. Sie umfasst Buchdrucker, Senefelder und Buchbinder, Funktionäre, Gehilfen und Hilfsarbeiter in gleicher Weise. Männer und Frauen, derer wir heute nur gesenkten Hauptes in Ehrfurcht gedenken können und in deren Sinne wir für Recht und Freiheit eintreten wollen. Wie immer und überall, wo Freiheit verlorengeht, gab es in unseren Berufen durch Reduzierung der gedruckten Meinungsvielfalt Beschäftigungseinbrüche. Freilich, Stellensuche war jetzt kein Problem mehr. Die Betroffenen wurden ganz einfach zwangsweise zum Autobahnbau oder in die Rüstungsindustrie beordert. Und das ja auch nicht für lange Zeit. 1939 wurden die meisten ins Feld gerufen. Nun nicht "viribus unitis" für Kaiser und Vaterland, sondern um für "Führer, Volk und Vaterland" zu sterben. Eine Gruppe Größenwahnsinniger der deutschen "Kulturnation" hatte zur Eroberung der Welt angesetzt und den Zweiten Weltkrieg begonnen. In der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung war eine riesige Lücke gerissen. Nur ganz wenige Männer und Frauen beschäftigten sich in diesen Tagen mit möglichen Formen einer zukünftigen Gewerkschaftsarbeit.
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1945
1945 fand der Schrecken sein Ende. Europa erlebte eine Neuordnung, Österreich eine Wiedergeburt - jetzt als Zweite Republik - und die Gewerkschaften nahmen einen neuen Anfang, für viele von uns bereits erlebte Geschichte. Dieser Zweite Weltkrieg hatte ein von den vier Siegermächten besetztes, wirtschaftlich total zerstörtes, im wahrsten Sinne des Wortes darniederliegendes Österreich zurückgelassen. Insgesamt in einer wesentlich ungünstigeren Situation als etwa nach dem Ersten Weltkrieg. Es war eine gewaltige Aufbauarbeit zu leisten, und es war klar, dass diese auf die Arbeiter und Angestellten zukommen würde. Ihrer Bedeutung dabei entsprechend sollte daher auch ihre Stellung im neuen Staat von Beginn an gesichert sein. Schon vor der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht (7. Mai 1945) wurde am 13. April 1945 in der Wohnung des späteren stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter in Anwesenheit der Kollegen Böhm, Gottlieb, Pfeffer und Vizthum die GRUNDIDEE FÜR DEN ÖSTERREICHISCHEN GEWERKSCHAFTSBUND geboren, dessen GRÜNDUNG AM 15. APRIL 1945 im Direktionsgebäude der Wiener Westbahn beschlossen und am 30. April 1945 von der Sowjetischen Militärkommandantur bewilligt wurde. |